Die Erforschung des Fedtschenko-Gletschers im Pamirgebirge.

Bericht von Rainer Mitschke, Altenburg, Teilnehmer an der sowjetisch-deutschen Expedition 1958.
 
 

Im Rahmen des Internationalen Geophysikalischen Jahres beteiligte sich im Jahre 1958 eine Arbeitsgruppe aus der DDR an der sowjetischen glaziologischen Expedition in das Pamirgebirge. Ihre Aufgabe war die weitere Erforschung des großen Fedtschenko-Gletschers.

Die Gletscherforschung hat in diesem Gebiet neben der großen wissenschaftlichen auch eine besondere praktische Bedeutung. Die Pamir-Gletscher führen den Flüssen, vor allem dem Amu-Darja und dem Syr-Darja gewaltige Wassermengen zu und stellen deren natürliches Wasserreservoir dar und bilden somit auch die Grundlage zur Bewässerung großer Trockengebiete in Mittelasien.

Die deutsch-sowjetische Zusammenarbeit hat bei der Erforschung des Pamir eine lange Tradition. Bereits im Jahre 1913 arbeitete eine Expedition des Deutschen Alpenvereins im westlichen Randgebiet des Pamir. Im Jahre 1928 führte die Akademie der Wissenschaften der UdSSR zusammen mit dem Deutsch-Österreichischen Alpenverein eine großangelegte Expedition zur Erschließung des nordwestlichen Pamir durch. Während ihres Verlaufs wurde der große Fedtschenko-Gletscher entdeckt und vermessen. Es stellte sich heraus, daß dieser Gletscher mit einer Länge von 77 km bei einer Breite zwischen 2 und 3 km der größte außerpolare Gletscher der Erde ist. Seine Eisdicke beträgt im Mittel 500 m. Der Fedtschenko-Gletscher wurde schon 1908 gefunden, aber seine Länge nur mit ca. 20 km angenommen. Es war das Verdienst der deutschen Expeditionsteilnehmer im Jahre 1928, den Gletscher und seine Nebengletscher vollständig mit Hilfe der terestrischen Photogrammetrie aufgenommen zu haben. Die Auswertung dieser Messungen ergab eine Karte des gesamten Gletschergebietes im Maßstab 1 : 50 000. Diese Karte sowie die anderen glaziologischen Arbeiten der deutschen Expeditionsteilnehmer waren ein hervorragendes Ergebnis der Expedition von 1928.

Die Expedition 1958 hatte die Aufgabe, den Fedtschenko-Gletscher und seine Nebengletscher weiter zu erforschen. Ihr gehörten Wissenschaftler der verschiedensten Fachgebiete an: Geodäsie, Seismologie, Meteorologie, Geologie, Geomorphologie, Hydrologie sowie Glaziologie. Bei den deutschen Teilnehmern handelte es sich um vier Geodäten, zu denen auch der Verfasser des Berichtes gehörte. Insgesamt umfaßte die Expedition einschließlich aller Hilfskräfte etwa 80 Personen, wobei die einzelnen Fachgruppen hinsichtlich der Organisation und der Arbeit selbständig waren. Den deutschen Teilnehmern oblag die Vermessung des Gletschers einschließlich der Nebengletscher und die Durchführung von Detailmessungen zur Eisbewegung.
Gebietskarte des Fedtschenko-Gletschers von 1958
In 4.300 Meter Höhe auf dem Pamir ist das obere Expeditionslager eingerichtet worden.

Instrumentell war die geodätische Gruppe mit den neuesten Zeiß-Geräten aus Jena ausgerüstet. Diese Geräte sollten bei dieser Gelegenheit ihre Erprobung unter Hochgebirgsverhältnissen finden. Sämtliche Geräte haben jederzeit den Anforderungen entsprochen. Die vermessungstechnischen Arbeiten umfaßten die Herstellung einer Triangulationskette über das Gletschergebiet, wobei die einzelnen trigonometrischen Punkte durch Steinmänner vermarkt wurden, photogrammetrische Aufnahmen zur Erfassung der Gletscheroberfläche und der Gletscherufer sowie photogrammetrische Geschwindigkeitsmessungen. Insgesamt wurde ein ca. 450 km2 großes Gletschergebiet photogrammetrisch erfaßt, d.h. der Fedtschenko-Gletscher von der Zunge (Höhe 2 890 m) bis zum Firngebiet (Höhe 5 600 m), dazu die Nebengletscher. Die photogrammetrischen Standlinien befanden sich an exponierten Stellen in Gipfelregionen. Der höchste mit Meßgeräten aufgesuchte Gipfel lag bei 5 400 m.

Die deutsche Gruppe flog Mitte Mai 1958 von Berlin über Moskau – Taschkent nach Osch, dem Ausgangspunkt der Expedition. Ihre wissenschaftliche und persönliche Ausrüstung war entsprechend den geplanten Arbeitsaufgaben umfangreich. Nachdem das Gepäck mit einem Sonderflugzeug ebenfalls nach Osch gebracht worden war, brach die geodätische Gruppe von Osch in das Expeditionsgebiet auf. Die Fahrt erfolgte mit Lastkraftwagen von Osch auf dem Pamir-Trakt in Richtung Süden über das Alai-Gebirge, das am Paß Taldiyk überschritten wurde. Von der am Südfuße des Alai-Gebirges liegenden Ortschaft Sarytasch verlief die Fahrt weiter in westlicher Richtung an der Nordseite des Alai-Tales. Bei Daraut-Kurgan bog der Weg nach Überschreiten des Flusses Kisilsu nach Süden ab. Am Nordfuße der Trans-Alai-Kette bei dem Kischlak Aramkungei wurde das Basislager erreicht. Nach Sichtung und Vorbereitung des Gepäcks für den Karawanen-Transport erfolgte der Weitermarsch mit einer Pferde-Karawane in das Expeditionsgebiet. Die Trans-Alai-Kette wurde am Paß Ters-Agar überschritten und bei Altyn-Masar der Weitermarsch im Tal des Muksu fortgesetzt. Im Seldara-Tal mußten zahllose Wasserläufe durchschritten werden. Der Fluß, der durch das Tal strömt, windet sich von einer Felswand zur anderen. Die Wassermassen, eine graue und braune Flut, flossen mit einem unheimlichen Donnern vorüber. Die Hydrologen hatten hier eine Wassergeschwindigkeit von 5 – 7 m pro Sekunde gemessen. Diese wilde Strömung war eine ernste Gefahr für die Pferde und das Gepäck, nicht zuletzt auch für uns. Es war bewundernswert, wie der Karawanenführer Urumbai immer wieder einen Weg fand, um den Fluß zu kreuzen. Die Karawanenleute setzten dann die Pferde mit schrillen Pfiffen und unbarmherzigen Schlägen in Bewegung durch das tosende Wasser, hing doch alles von einem gleichzeitigen Gehen der Pferde ab, denn je vier Tiere waren auf Gedeih oder Verderb durch ein Seil verbunden. Nach rund 20 km beschwerlichen Weges war endlich die Zunge des Fedtschenko-Gletschers und damit der Anfang des Expeditionsgebietes erreicht. Im Sommer strömen aus dem Hauptgletschertor bis zu 750 Kubikmeter Wasser je Sekunde.

Die Gebirgsentwicklung des Pamir steigert sich hier zu großer Mächtigkeit. In West-Ost-Richtung verläuft die Kette "Peter der Große", die schon an ihrem westlichen Ende wild und kräftig gegliedert ist, bis zu 5 600 m Höhe ansteigt, um sich im östlichen Teil auf 6 000 und 7 000 m zu erheben. Vom Süden her kommt die Darwas-Kette und von Norden mit ebenfalls mächtigen, durchweg 6 000 m hochragenden Bergen die Akademie-Kette. Im Knotenpunkt dieser überwältigenden Gebirgszüge steht, alle Gipfelriesen noch um 500 m überragend, der "Pik Kommunismus" als höchster Berg der UdSSR.

Nach Aufbau des Zeltlagers wurde die Zeit bis zum Eintreffen weiterer Mitarbeiter und Hilfskräfte zu ersten photogrammetrischen Aufnahmen im Vorfeld des Gletschers genutzt. Der Anfang der Arbeiten gestaltete sich etwas schwierig, weil sich die einzelnen Teilnehmer erst aufeinander einspielen mußten. Die sowjetischen Hilfskräfte brauchten eine gewisse Zeit, um Ziel und Aufgaben der geodätischen Arbeiten kennenzulernen, die keineswegs mit sportlichem Ehrgeiz verknüpft waren, sondern an sie die Aufgabe stellte, sichere und im Hinblick auf die verhältnismäßig schweren und wertvollen Instrumente auch möglichst einfache Bergbesteigungen durchzuführen.
Die mittlere Station mit meteorologischen Beobachtungsgeräten. Gletschertisch auf dem Mittellauf des Fedtschenko.

Die geodätische Gruppe umfaßte einschließlich aller Hilfskräfte 18 Teilnehmer, die nunmehr gletscheraufwärts zogen und kurz vor der Einmündung des Biwak-Gletschers das 2. Lager einrichtete. Der Transport der Ausrüstungsgegenstände erfolgte noch durch eine Pferdekarawane, obwohl dieser Wegabschnitt über die stark zerklüftete Oberfläche des Fedtschenko-Gletscher äußerst schwierig war. Nun schon eingespielt, war ein Trupp damit beschäftigt, bis zu dem an der Einmündung des Kaschal-Ajak-Gletschers gelegenen trigonometrischen Punktes "Sporn" an den vorgesehenen Stellen Steinmänner zu bauen. Ein anderer Trupp führte Aufnahmen des Gletschers und Geschwindigkeitsmessungen durch.

Der tödliche Absturz des jungen Alpinisten Anatoli Saizew, der sich bei einbrechender Dunkelheit verstiegen hatte, machte eine Verlängerung des Aufenthaltes an diesem Lager notwendig. Das Unglück und die schwierigen Sucharbeiten nach dem Abgestürzten hatten eine starke Stimmungs-Depression zur Folge.

Es erfolgte der Weitermarsch zum 3. Lager an der Einmündung des Kaschal-Ajak-Gletschers. Auch hier am mittleren Teil des Fedtschenko-Gletschers mußten wieder zeitliche Einbußen durch Regen und Schneefall, mehrfach auch durch niedrige Wolkendecken, die die Gipfel verhüllten, in Kauf genommen werden.

Da wegen der vielen Spalten auf dem Gletscher keine Möglichkeit mehr bestand, die Lasten mit Pferden gletscheraufwärts zu transportieren, mußte das gesamte Gepäck erneut reduziert werden. Mitgenommen wurden nur solche Gegenstände, die im Rucksack transportiert werden konnten, alles übrige ging mit der Pferdekarawane gletscherabwärts. Die Zahl der Teilnehmer der Geodätengruppe war nun auf zehn Mann beschränkt. In mühevollen Transportmärschen wurden die Ausrüstungen, die Verpflegung und die notwendigen Zelte zu einem Lager bis zum Tanymas-Paß geschafft, wo auf einer Moräne das obere Lager eingerichtet wurde. Diese Zeit war die schwerste während des ganzen Expeditionsverlaufes. Auf den wissenschaftlichen Mitgliedern der Truppe lastete dazu die Sorge um die weit vorangeschrittene Zeit. Die Hilfskräfte waren sehr abgearbeitet und bedurften dringend der Erholung. Entgegen dem ursprünglichen Plan, bis Mitte September auf dem Gletscher zu arbeiten, wurde von der Expeditionsleitung wegen der zunehmenden Wetterverschlechterung, die auf einen früh hereinbrechenden Winter schließen ließ, für den 01.09. die Beendigung der photogrammetrischen Arbeiten angeordnet. Der Rückmarsch erfolgte durch das Tanymas-Tal zum Kischlak Toptala, vorbei an den Zungen der fünf Tanymas-Gletscher. Ab 5. September erfolgte die weitere Rückführung der Geodäten-Gruppe mit Lastkraftwagen. Die Route führte vorbei am Karakul-See zum Pamir-Trakt über den Trans-Alai nach Sarytasch und weiter bis Osch. Die Rückreise mit dem Flugzeug war durch Aufenthalte in Taschkent und Moskau unterbrochen, Ende September 1958 trafen die deutschen Teilnehmer wieder in Berlin ein.

Nach der Rückkehr in die Heimat erfolgte in zeitaufwendiger Arbeit an der Bergakademie Freiberg und der Universität Dresden die Auswertung der umfangreichen Messungen. Dabei konnte als wichtigstes Ergebnis festgestellt werden, daß ein Rückgang der Vereisung vorherrscht. Die Zunge des Fedtschenko-Gletschers zog sich in den vergangenen 30 Jahren bis 1958 um 420 m zurück. Bei einem Gesamtvolumen des Gletschers von ca. 46 km3 wurde in dieser Zeit ein Eisverlust von 1 km3 festgestellt. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Gletscher im Pamir-Gebirge allgemein den gleichen Veränderungen unterworfen waren, die auch bei Gletschern in anderen Teilen der Erde beobachtet werden konnten. Infolge der Größe der Gletscher, ihrer geographischen Lage und des kontinentalen Klimas waren die eingetretenen Rückgänge jedoch nicht so groß, wie z. B. bei den Gletschern der Alpen.
 
 
Über diese Expedition erschien von Günter Skeib und Georg Dittrich im "VEB F.A. Brockhaus Verlag,  Leipzig 1960" das Buch:
Zelte im Gletschereis. In den Hochregionen des Pamir.
Aus diesem Buch stammen auch die hier vorgestellten Fotos !


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